Kliniker beobachten seit langem einen Zusammenhang zwischen übermäßigem Alkoholkonsum und negativen Auswirkungen auf das Immunsystem, wie z. B. die Anfälligkeit für Lungenentzündungen. In den letzten Jahrzehnten wurde diese Assoziation auf eine größere Wahrscheinlichkeit von akuten respiratorischen Stresssyndromen (ARDS), Sepsis, alkoholischer Lebererkrankung (ALD) und bestimmten Krebsarten, eine höhere Inzidenz von postoperativen Komplikationen sowie eine langsamere und weniger vollständige Erholung von Infektionen und physischen Traumata, einschließlich schlechter Wundheilung, ausgeweitet.
Diese Ausgabe von Alcohol Research: Current Reviews (ARCR) fasst die Beweise zusammen, dass Alkohol die Immunwege auf komplexe und scheinbar paradoxe Weise stört. Diese Störungen können die Fähigkeit des Körpers zur Abwehr von Infektionen beeinträchtigen, zu Organschäden im Zusammenhang mit Alkoholkonsum beitragen und die Erholung von Gewebeverletzungen behindern. Wir hoffen, dass ein besseres Verständnis der spezifischen Mechanismen, durch die Alkohol seine Wirkung auf das Immunsystem ausübt, zur Entwicklung von Interventionen führen kann, um die negativen gesundheitlichen Folgen des Alkoholmissbrauchs zu verhindern oder zumindest abzumildern.
Die Autoren dieser Ausgabe von ARCR legen den Grundstein für das Verständnis der vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen Alkohol und Immunfunktion, indem sie einen Überblick über das Immunsystem geben (siehe den Artikel von Spiering) und die aktuelle Forschung über die Auswirkungen von Alkohol auf die angeborene Immunität (siehe den Artikel von Nagy) und auf die adaptive Immunität (siehe den Artikel von Pasala und Kollegen) überprüfen. Wie von Szabo und Saha beschrieben, schwächen die kombinierten Auswirkungen von Alkohol auf die angeborene und adaptive Immunität die Abwehrkräfte des Wirts erheblich und prädisponieren chronische Trinker für eine Vielzahl von Gesundheitsproblemen, einschließlich Infektionen und systemische Entzündungen. Die weitreichenden Auswirkungen des Alkohols auf die Immunfunktion werden auch in dem Artikel von Gauthier unterstrichen, der untersucht, wie die Alkoholexposition in utero das sich entwickelnde Immunsystem des Fötus beeinträchtigt. Diese Exposition erhöht das Risiko eines Neugeborenen für Infektionen und Krankheiten; zusätzliche Beweise deuten darauf hin, dass die schädlichen Auswirkungen von Alkohol auf die Entwicklung des Immunsystems bis ins Erwachsenenalter andauern.
Das gastrointestinale (GI) System ist typischerweise der erste Kontaktpunkt für Alkohol, wenn er den Körper durchläuft, und hier wird der Alkohol in den Blutkreislauf aufgenommen. Eine der wichtigsten unmittelbaren Auswirkungen von Alkohol ist, dass er die Struktur und Integrität des GI-Trakts beeinträchtigt. Zum Beispiel verändert Alkohol die Anzahl und relative Häufigkeit von Mikroben im Darm-Mikrobiom (siehe den Artikel von Engen und Kollegen), einer umfangreichen Gemeinschaft von Mikroorganismen im Darm, die zur normalen Darmfunktion beitragen. Diese Organismen beeinflussen die Reifung und Funktion des Immunsystems. Alkohol stört die Kommunikation zwischen diesen Organismen und dem intestinalen Immunsystem. Alkoholkonsum schädigt auch Epithelzellen, T-Zellen und neutrophile Granulozyten im GI-System, wodurch die Barrierefunktion des Darms gestört und der Austritt von Mikroben in den Blutkreislauf erleichtert wird (siehe den Artikel von Hammer und Kollegen).
Diese Störungen der Zusammensetzung der Darmmikrobiota und der Barrierefunktion des Darms haben wichtige Auswirkungen über das Darmsystem hinaus. Nagy beschreibt zum Beispiel, wie das Austreten von bakteriellen Produkten aus dem Darm das angeborene Immunsystem in der Leber aktiviert und eine Entzündung auslöst, die der ALD zugrunde liegt, einer Erkrankung, die mehr als 2 Millionen Amerikaner betrifft und die schließlich zu Leberzirrhose und Leberkrebs führen kann. Eine Infektion mit Virushepatitis beschleunigt das Fortschreiten der ALD, und die Lebererkrankung im Endstadium durch Virushepatitis ist zusammen mit der ALD der Hauptgrund für Lebertransplantationen in den Vereinigten Staaten. Der Artikel von Dolganiuc in dieser Ausgabe untersucht die synergistischen Effekte von Alkohol und Hepatitis-Viren auf das Fortschreiten der Lebererkrankung sowie die schädliche Wirkung von Alkoholkonsum auf die antivirale Immunität der Leber. Mandrekar und Ju tragen einen Artikel bei, der die Rolle der Makrophagen bei der Entwicklung von ALD beleuchtet, einschließlich neuer Erkenntnisse über den Ursprung, die Heterogenität und die Plastizität von Makrophagen bei Lebererkrankungen und die Signalvermittler, die an ihrer Aktivierung und Akkumulation beteiligt sind.
Zusätzlich zur Lungenentzündung wurde Alkoholkonsum mit Lungenkrankheiten in Verbindung gebracht, darunter Tuberkulose, respiratorisches Synzytialvirus und ARDS. Alkohol stört die ziliare Funktion in den oberen Atemwegen, beeinträchtigt die Funktion von Immunzellen (d.h. Alveolarmakrophagen und Neutrophile) und schwächt die Barrierefunktion der Epithelien in den unteren Atemwegen (siehe den Artikel von Simet und Sisson). Oft bleibt die durch Alkohol hervorgerufene Lungenschädigung unentdeckt, bis ein zweiter Insult, wie z. B. eine Atemwegsinfektion, zu schwereren Lungenerkrankungen führt als bei Nichttrinkern.
In einer klinischen Fallstudie, die in dieser Ausgabe besprochen wird, berichten Trevejo-Nunez und Kollegen über systemische und organspezifische Immunpathologien, die häufig bei chronischen Trinkern auftreten. Bei solchen Patienten beeinträchtigt Alkohol die Schleimhautimmunität im Darm und im unteren Atmungssystem. Diese Beeinträchtigung kann zu Sepsis und Lungenentzündung führen und erhöht auch die Häufigkeit und das Ausmaß von postoperativen Komplikationen, einschließlich einer Verzögerung des Wundverschlusses. HIV/AIDS ist eine Krankheit, bei der die mukosale Immunität bereits angegriffen ist. Bagby und Kollegen zeigen erhebliche Beweise dafür auf, dass Alkohol das Immunsystem weiter stört und damit die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung und des Fortschreitens der Krankheit deutlich erhöht.
Alkohol-Immun-Interaktionen können auch die Entwicklung und das Fortschreiten bestimmter Krebsarten beeinflussen. Meadows und Zhang diskutieren spezifische Mechanismen, durch die Alkohol die Immunabwehr des Körpers gegen Krebs beeinträchtigt. Sie weisen auch darauf hin, dass ein voll funktionierendes Immunsystem für den Erfolg einer konventionellen Chemotherapie entscheidend ist. Die klinische Behandlung all dieser Erkrankungen kann bei Personen, die Alkohol missbrauchen, aufgrund der gleichzeitig bestehenden Beeinträchtigung des Immunsystems eine größere Herausforderung darstellen.
Alkoholkonsum muss nicht chronisch sein, um negative gesundheitliche Folgen zu haben. Tatsächlich zeigt die Forschung, dass akutes Komasaufen auch das Immunsystem beeinträchtigt. Es gibt Beweise in einer Reihe von physiologischen Systemen, dass der Alkoholkonsum bei Saufgelagen die Genesung von körperlichen Traumata erschwert (siehe den Artikel von Hammer und Kollegen). Molina und Kollegen überprüfen Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Alkohol die Erholung von drei Arten von physischen Traumata – Verbrennungen, hämorrhagischer Schock und traumatische Hirnverletzungen – beeinträchtigt, indem er die Immunhomöostase beeinflusst. Ihr Artikel hebt auch hervor, wie die kombinierte Wirkung von Alkohol und Verletzung eine größere Störung der Immunfunktion verursacht als jede der beiden Herausforderungen allein.
Nicht nur das Immunsystem vermittelt alkoholbedingte Verletzungen und Krankheiten, sondern eine wachsende Anzahl von Literatur weist auch darauf hin, dass die Immunsignalisierung im Gehirn zur Alkoholkonsumstörung beitragen kann. Der Artikel von Crews, Sarkar und Kollegen präsentiert Beweise dafür, dass Alkohol zu einer neuroimmunen Aktivierung führt. Dies kann den Alkoholkonsum und die riskante Entscheidungsfindung erhöhen und die Verhaltensflexibilität verringern, wodurch ein hoher Alkoholkonsum gefördert und aufrechterhalten wird. Sie liefern auch Beweise dafür, dass die alkoholinduzierte Neuroimmunaktivierung eine bedeutende Rolle bei der neuralen Degeneration spielt und dass das neuroendokrine System an der Kontrolle der Auswirkungen von Alkohol auf die periphere Immunität beteiligt ist.
Es wurden große Fortschritte bei der Aufklärung der Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Immunfunktion gemacht und wie diese Interaktion die menschliche Gesundheit beeinflusst. Weitere Fortschritte auf diesem Gebiet stehen jedoch vor mehreren Herausforderungen. Die Regulierung der Immunfunktion ist außerordentlich komplex. Die normale Immunfunktion hängt von der bidirektionalen Kommunikation von Immunzellen mit Nicht-Immunzellen auf lokaler Ebene sowie von der Wechselwirkung zwischen dem Gehirn und der Peripherie ab. Diese verschiedenen Ebenen der Interaktion machen die Validierung der Mechanismen, durch die Alkohol die Immunfunktion beeinflusst, zu einer Herausforderung. Signifikante Unterschiede zwischen dem Immunsystem der Maus – dem primären Modellorganismus, der in Immunstudien verwendet wird – und dem des Menschen erschweren auch die Übertragung der experimentellen Ergebnisse von diesen Tieren auf den Menschen. Darüber hinaus stellen die vielfältigen Aufgaben des Immunsystems eine große Herausforderung für die Entwicklung von Interventionen dar, die auf Immunwege abzielen, ohne unerwünschte Nebenwirkungen hervorzurufen.
Durch die Erhellung der Schlüsselereignisse und -mechanismen der alkoholinduzierten Immunaktivierung oder -suppression erhält die Forschung tiefere Einblicke in die äußerst variablen und manchmal paradoxen Einflüsse von Alkohol auf die Immunfunktion. Die in dieser Ausgabe von ARCR zusammengefassten Erkenntnisse bieten Forschern und Klinikern die Möglichkeit, neue Interventionen zu entwickeln oder bestehende zu verfeinern, um das Immunsystem zu beeinflussen und alkoholbedingte Krankheiten besser zu behandeln.